“Das größte Erfolgserlebnis für einen Lehrer ist zu sagen: Die Kinder arbeiten jetzt, als ob ich nicht existiere.” Maria Montessori
Das Fundament unserer täglichen Arbeit ist die Pädagogik von Maria Montessori im Rahmen einer staatlichen Grundschule. Ihre Beobachtungen und Gedanken, die sie vor hundert Jahren so erfolgreich umgesetzt hat, prägen heute unseren Unterricht sowie das gesamte Schulleben. Das Leitbild, der Unterricht und der Personaleinsatz sind hiervon geleitet.
Ständig arbeiten wir an der Weiterentwicklung ihrer Prinzipien an unserer Schule: „Freie Wahl der Arbeit“, „Soziales Lernen“, „Die vorbereitete Lernumgebung“, „Die Arbeit mit Materialien“, „Die Leitbilder der kosmischen Erziehung“, „Die Lehrkraft als Lernbegleitung“ und „individuelle Förderung“. Die Montessori-Pädagogik ist ein reformpädagogisches Bildungsangebot, das sich unmittelbar am Kind orientiert und konsequent die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt. Dem gegenüber stehen rechtliche Bestimmungen des Schulgesetzes und der Grundschulverordnung, die ebenso für uns verbindlich sind.
Die Prinzipien sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.
Freie Wahl der Arbeit
Die Freiarbeit ist das Kernstück der reformpädagogischen Bildung Maria Montessoris. Da das Kind seinem inneren individuellen Bauplan folgt, muss ihm auch individuelle Tätigkeit ermöglicht werden. Dabei lernt das Kind entsprechend der eigenen Bedürfnisse, des Engagements sowie der Konzentration zu handeln und zu entscheiden.
Erst durch die freie Wahl der Arbeit kann das Kind nach Montessori zu wirklicher Konzentration finden, die sie mit allen Kräften aufbaut. Montessori spricht von der „Polarisation der Aufmerksamkeit“.
In der konzentrierten Arbeit gelangt das Kind nicht nur zu Wissen, sondern es stärkt auch sein Selbstbewusstsein, schafft sich Zugänge zur Bewältigung der Wirklichkeit und erwirbt soziale Kompetenz. Ist das Kind zu konzentriertem Arbeiten fähig, so entwickelt es zunehmend Ausdauer, Zielstrebigkeit, Zuverlässigkeit und Anstrengungsbereitschaft. (Vgl. B. Stein: Theorie und Praxis der Montessori-Grundschule, Freiburg, 1998, S. 64.)
Während der Freiarbeit sind die Schüler*innen demnach frei in der Wahl
- des Materials,
- der Lernpartner*innen (allein, zu zweit, in der Gruppe),
- des Lernortes (Tisch oder Teppich, Klassenraum oder Flur) und
- der Zeit, die sie für die Arbeit an ihrem Material benötigen.
Dennoch gibt es feste Regeln: Eine begonnene Arbeit muss beendet werden. Die anderen Kinder dürfen bei ihrer Arbeit nicht gestört werden. Die dafür nötige Disziplin und Ausdauer bei der Bearbeitung entstehen von innen sowie durch die Bindung an das Material und nicht durch die Erwachsenen.
Soziales Lernen in jahrgangsübergreifenden Klassen
Individualität und Sozialität, so Montessori, gehören zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Um dieses soziale Ziel zu erreichen, lernen die Kinder an unserer Schule in jahrgangsübergreifenden, inklusiven Klassen.
Dieses Modell stellt eine besondere Herausforderung an alle dar, bietet aber zugleich eine ideale Möglichkeit zum sozialen Lernen. Durch die vielfältigen Auseinandersetzungen wird Verständnis für einander aufgebaut, Rücksichtnahme gelernt und Kooperation ermöglicht. Das jüngere Kind lernt vom älteren Kind durch Beobachten und Nachahmen (Vorbildfunktion). Es bewundert das ältere Kind, lässt sich inspirieren und weiß, dass es selbst eines Tages zu den Großen gehören wird. Ältere Kinder geben ihr Wissen an jüngere Kinder weiter und fungieren als Patin bzw. Pate. Die Kinder helfen einander, sich zurecht zu finden.
Die vorbereitete Lernumgebung
„Vorbereitete Umgebung bietet also dem Kind einen Gestaltungsspielraum für den Umgang mit anderen Menschen, mit Gegenständen, mit sich selbst.“ (U. Steenberg, Handlexikon zur Montessoripädagogik, Ulm, 1997, S. 212.)
Damit die Kinder eigenverantwortlich und produktiv lernen können, bedarf es einer vorbereiteten Umgebung, die Anregungen zu Handlungen bereithält, in denen sie sich entfalten können.
Jeden Morgen ziehen die Kinder ihre Hausschuhe an und betreten die „vorbereitete Umgebung“ – das speziell nach ihren Bedürfnissen gestaltete Klassenzimmer.
Wir achten auf helle und freundliche Klassenräume, die übersichtlich und kindgerecht gestaltet sind. Die Lernumgebung wirkt gepflegt, die Materialbestände sind nach Sachbereichen sinnvoll geordnet und für die Kinder frei zugänglich. Somit können die Kinder die Ordnung eigenständig aufrechterhalten.
Die Materialien sind ästhetisch gestaltet, bieten Möglichkeiten zu Sinneserfahrungen und wurden von Maria Montessori als „Schlüssel zur Welt“ bezeichnet. Viele Materialien enthalten eine innere Fehlerkontrolle, so dass die Kinder unabhängig vom Erwachsenen ihre Arbeit durchführen und beenden können. Neben den traditionellen, von Maria Montessori entwickelten Materialien, befinden sich in einer vorbereiteten Umgebung auch eine Vielzahl von ergänzenden Arbeitsmaterialien. Diese werden immer wieder von den Pädagog*innen überarbeitet.
Die Arbeit mit den Materialien
Eine Schlüsselfunktion in der Lernarbeit nehmen die von Maria Montessori selbst entwickelten Materialien ein.
Diese sind auf eine bestimmte Weise strukturiert:
- jedes Material ist in der Regel nur einmal pro Klasse vorhanden – die Materialien sind teuer in der Anschaffung, das Einmalige unterstreicht ihren Wert
- bestimmte Materialien können in verschiedenen Entwicklungsstufen eingesetzt werden
- der Aufbau des Materials geht den Weg vom Konkreten zum Abstrakten, wiederkehrende Merkmale (z.B. Farbgebung) unterstützen diesen Lernprozess
- Schwierigkeiten werden isoliert
- viele Materialien enthalten eine direkte oder indirekte Fehlerkontrolle
- alle Materialien basieren auf Sinneserfahrungen und regen mehrere Sinne an, sind ästhetisch gestaltet und fordern zum Handeln auf.
Die Leitbilder der Kosmischen Erziehung
Mit der „Kosmischen Erziehung“ ist ein universaler Lehrplan beabsichtigt, „der den Verstand und das Gewissen aller Menschen in einer Harmonie vereinen kann.“ (M. Montessori, Kosmische Erziehung, Freiburg, 1988, S.26.)
Die verschiedenen Aspekte des Wissens von der Welt und vom Kosmos sollen hier miteinander in Beziehung gebracht und die Zusammenhänge dem Kind zugänglich gemacht werden. Maria Montessori geht von der Idee aus, dem Kind von Anfang an den großen Zusammenhang und die Gesetzmäßigkeiten einer Ordnung innerhalb des Kosmos spüren zu lassen. Der Kosmos umfasst dabei alle Kräfte, die zum Leben auf der Erde und im Universum beitragen; damit sind nicht nur alle Gesetzmäßigkeiten der Natur, sondern auch die Beziehungen des Menschen untereinander und ihr kulturelles Schaffen gemeint. Durch das harmonische Zusammenwirken der einzelnen Teile formt sich der gesamte Kosmos, der wiederum auf die Teile einwirkt. In dieser kosmischen Beziehung hat der Mensch eine Sonderstellung. Er ist Teil des Ganzen und hat in ihm eine „kosmische Aufgabe“ zu erfüllen, eine besondere Verantwortung zu tragen. Es geht also darum, in dieser Altersstufe den „Keim für die Wissenschaften zu legen. Einzelheiten zu lehren bedeutet Verwirrung stiften. Die Beziehung unter den Dingen herstellen bedeutet Erkenntnisse vermitteln.“ (C.-D. Kaul, Kosmische Erziehung, Tegernsee, 2005, S.125)
Das Konzept der „Kosmischen Erziehung“ ist an unserer Schule vor allem in den großen Themen im Jahresplan verankert, z.B. „Die Entstehung der Zahl“, „Die Entstehung der Schrift“, „Tiere der Erde“, „Der Kalender“. Hier arbeitet das Kollegium besonders eng zusammen und evaluiert die gemeinsame Arbeit fortlaufend. Externe und interne Fortbildungen unterstützen die konsequente Umsetzung des Grundgedankens der „Kosmischen Erziehung“ von Maria Montessori.
Durch Exkursionen, Experimente, Darstellungen und Erzählungen wird das Kind veranlasst, seine Phantasie anzuregen, sein Wissen zu erweitern und den Gesamtzusammenhang zu begreifen. Erste Begegnungen mit Teilbereichen aus Natur und Wissenschaft sollen nicht zusammenhanglos eine Fülle von Eindrücken und Kenntnissen aus den verschiedenen Sachgebieten (z. B. Erdkunde, Mathematik, Biologie, Geschichte, Malerei u.a.) vermitteln, sondern seinen Platz im kosmischen Ganzen einnehmen.
An unserer Schule setzen wir diesen Grundgedanken in der Montessoripädagogik in den fächer- und klassenübergreifenden Jahrgangsthemen um, bieten Erzähl- und Präsentationskreise an, führen Projekttage durch und verknüpfen die Themen stets mit unserem Unterricht an jedem Schultag mit Hilfe der liebevoll vorbereiteten Umgebung. Dadurch verbindet sich das tägliche Handeln unserer SchülerInnen mit dem kosmischen Grundgedanken eines jeden Themas und wirkt zurück.
Die Pädagog*in als Lernbegleiter*in
Gemäß dem Leitsatz Maria Montessoris „Hilf mir, es selbst zu tun!“ treten die Pädagog*innen so weit wie möglich in den Hintergrund. Sie ermöglichen dem Kind die freie Wahl der Arbeit aus einem übersichtlichen Angebot an Materialien, Medien und Hilfsmitteln. Die Kinder erlernen und erarbeiten dabei Regeln, die gewährleisten, dass die äußere Ordnung aufrecht erhalten bleibt. Alle am Lernprozess beteiligten Pädagog*innen schaffen stets aufs Neue eine vertrauensvolle Atmosphäre, ohne die kein Lernen möglich ist.
Dabei verstehen sich die Pädagog*innen nicht nur als unterrichtende Instrukteure, sondern eher als „Helfer zur Entwicklung selbstständiger Persönlichkeiten“. Aus ihren Beobachtungen schöpfen sie das Wissen zum individuellen Umgang mit dem Kind. Zur rechten Zeit sind ihre Worte und ihre Konsequenz gefragt. Sie sind sehr flexibel. Mit Geduld erklären sie den Gebrauch der Montessori-Materialien und unterstützen die Kinder, damit umzugehen. Sie bringen das Kind auch in Beziehung zur Ordnung in ihrer Umgebung.
Zusätzlich führen die Pädagog*innen mit dem Kind Gespräche über den aktuellen Arbeitsprozess. Das Kind beschreibt und erklärt seine Arbeit, während die Lehrkraft hauptsächlich zuhört.
Die wichtigsten Fähigkeiten von Montessori-Pädagog*innen sind:
- sich zurücknehmen können
- achtsamer und liebevoller Umgang mit den Kindern
- Unterschiedlichkeit der Kinder akzeptieren
- Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleiten
- genaue, auf die Stärken orientierte Beobachtungsgabe
- sichere Materialkenntnis, um jedem Kind eine „gute Darbietung im rechten Augenblick“ geben zu können
Individuelle Förderung
Jedes Kind hat ein Recht darauf, gemäß seines individuellen Lern- und Entwicklungsstandes angenommen sowie gefördert und gefordert zu werden. Die freie Wahl der Arbeit bietet hierzu den grundlegenden Rahmen. Jedes Kind arbeitet in dieser Zeit in seinem Tempo, in seinem Rhythmus und seinen individuellen Fähigkeiten und Voraussetzungen entsprechend. So gestaltet es sein Lernen eigenverantwortlich und aktiv. Durch die systematisch strukturierten Materialien und das individualisierte Lernen soll jedes Kind die Chance haben, sich einen Lerninhalt auf unterschiedlichen Ebenen aneignen zu können.
Die persönliche Entwicklung und Förderung des Kindes stehen im Fokus. Für die individuelle Förderung wird der Lernstandsdiagnostik ein wichtiger Platz eingeräumt, weshalb wir teilweise individuelle Förderpläne sowie Arbeitsmaterialien entwickeln.
Dies bedeutet auch, dass Leistungserwartung und Leistungsförderung ohne konkurrierenden Leistungsvergleich erfolgen. Die Leistungsfeststellung erfolgt bis zum Ende der Klasse 4 notenfrei und verbal.
Um eine individuelle Förderung zu sichern, bedarf es auch der intensiven Zusammenarbeit mit den Eltern, ebenso wie einer Beratung der Eltern. Nicht zuletzt ist auch der Austausch mit Allen ein wichtiger Schritt, um jedes Kind ganzheitlich betrachten und fördern zu können.
Auch im eFöB-Bereich sind Teile der Leitideen Montessoris in den Gruppenräumen verwirklicht. Der Sitz-Kreis als elementares Element ist in allen Gruppen vertreten und viele Methodenansätze kommen darin zur Anwendung. Dazu zählen unter anderem die Gewaltprävention, die Erarbeitung von Konfliktlösungsstrategien, Stilleübungen, das Briefing der Kinder für geplante Aktionen und Angebote am Nachmittag. Die Gestaltung aller Räume lehnt an das Konzept zu Montessori an, sehr viele Materialien sind offen zugänglich, die Kinder sind angehalten, als Gemeinschaft ihren Raum ordentlich zu halten. Dabei helfen auch die Dienste, die je nach Bedarf und regelmäßig dazu beitragen, einen Raum vorzufinden, in dem sich die Kinder wohlfühlen.